„Hier wo ich lebe, will ich wählen!“ Kommunales Wahlrecht für alle Migrant*innen

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Interfraktioneller Antrag der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, den Göttinger Linke/ALG und PARTEI-Ratsgruppen
und Francisco Welter-Schultes Einzelmitglied im Rat der Stadt Göttingen

Der Rat möge beschließen:
Der Oberbürgermeister wird beauftragt, sich bei der niedersächsischen Landesregierung, der
Bundesregierung, gegenüber den Göttinger Bundestagsabgeordneten und gegenüber dem Deutschen und dem Niedersächsischen Städtetag für die Einführung des kommunalen Wahlrechts für
alle Ausländerinnen und Ausländer, die seit mindestens fünf Jahren regelmäßig in der Bundesrepublik leben, einzusetzen.
Begründung:
Eine ähnlich lautende Resolution hat der Rat der Stadt Göttingen bereits am 6. März 2009 beschlossen
(Vorlage-Nr. Inter/030/09). Damals wie heute widerspricht es eklatant unserem demokratischen Selbstverständnis, wenn Menschen, die bereits seit Jahren hier leben, nicht berechtigt sind, ihre kommunale
Vertretung mit zu wählen und sich zur Wahl zu stellen. Sie werden nicht als Bürgerinnen der Stadt behandelt, dürfen Entscheidungen, die ihr persönliches Lebensumfeld betreffen, nicht mit treffen. Das Problem ist in den vergangenen Jahren nicht kleiner geworden, im Gegenteil. Waren 2009 noch rund 7.000 Menschen betroffen, sind es heute 11.500 Menschen. Etwa 10 % der Göttinger Einwohnerinnen.
Um diese große Demokratielücke zu schließen, brauchen wir als Kommune die Unterstützung von Bundestag und Bundesrat: Artikel 28 unseres Grundgesetzes muss hierfür geändert werden! Es ist ein Widerspruch in sich, wenn der erste Satz die „allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen
Wahlen“ vorschreibt, und aus dem zweiten Satz hervorgeht, dass in Gemeinden auch EU-Ausländerinnen inkludiert sind. – Nicht EU-Ausländerinnen nicht. Sie sind nicht Teil der Bevölkerung.
Inklusion geht anders.
Das Jahresgutachten des Sachverständigenrates für Integration und Migration vom 04. Mai 2021 zeigt,
wie vielfältig die deutsche Gesellschaft heute ist: mehr als ein Viertel der Bevölkerung hat eine Zuwanderungsgeschichte. Bei Kindern und Jugendlichen liegt der Anteil bei rund 40%. Viel mehr Deutsche als
noch vor 20 Jahren nehmen Vielfalt heute als Bereicherung wahr. Gleichzeitig benachteiligt die Herkunft
bei der Arbeits- und Wohnungssuche. In vielen Bereichen wie Parteien und Verwaltungen sind Migrantinnen unterrepräsentiert. Das Gutachten fordert vor allem die politische Partizipation von Zugewanderten. Die zweite und dritte Generation von Zugewanderten engagiert sich stärker in Verbänden und außerparlamentarisch. Gleichzeitig zeigen Umfragen, dass Menschen die nicht wählen gehen, sich häufig nicht politisch engagieren. Zudem stagniert bundesweit die Zahl der Einbürgerungen. Durch unseren Appell wollen wir aufrütteln und deutlich machen, dass ein Weg gegen Politikverdrossenheit gerade die Einbindung von Menschen in das politische Geschehen auf kommunaler Ebene bedeutet, die bisher „keine Stimme“ haben: Wir fordern passives und aktives Wahlrecht für alle Migrantinnen,
die länger als 5 Jahre in einer Kommune leben!
Mit unserer Resolution unterstützen wir diese Kernbotschaften des Jahresgutachtens 2021 des Sachverständigenrates für Integration und Migration
https://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2021/04/SVR_Kernbotschaften_2021.pdf

– Nur mit einem kommunalen Wahlrecht für Drittstaatsangehörige ist die demokratische Teilhabe vor Ort Bürger*innen zu gewährleisten
– Wir brauchen „Turbo-Einbürgerungen“ in weniger als vier Jahren (Bislang dauern Einbürgerungen im Schnitt acht Jahre)
– Wir brauchen einen Kompromiss bei der Mehrstaatigkeit, denn viele Zugewanderte möchten
ihre Herkunfts-Staatsangehörigkeit nicht aufgeben (Optionszwang verhindert oft Einbürgerungen)
– Wir brauchen vor Ort und bundesweit eine erneute Werbekampagne für das Kommunale Wahlrecht,
– Die Göttinger Ratsfraktionen werden verstärkt den Dialog mit migrantischen Selbstorganisationen
suchen.

Aufruf zu Wahl des Göttinger Integrationsrates am 12.09.2021 Wir rufen ausdrücklich zu einer großen Beteiligung an den Wahlen zum Göttinger Integrationsrat auf. Mitglieder des Integrationsrates sind mit Rede- und Antragsrecht – jedoch ohne Stimmrecht – in allen Ausschüssen des Rates vertreten. Dies ist kein Ersatz für ein Kommunalwahlrecht. Daten aus der Stadt Göttingen: In Göttingen wurden 2020 129 Menschen eingebürgert, 100 weniger als 2019 (229). In Göttingen leben 2020 38.405 Menschen mit Migrationshintergrund (29,2 % der Gesamtbevölkerung). Davon sind 19.375 Ausländerinnen (14,7%), rund 11.500 kommen aus dem Nicht-EU-Ausland