Interfraktioneller Antrag der SPD, CDU, FDP-Ratsfraktionen, PARTEI/Volt-Ratsgruppe und Francisco Welter-Schultes im Rat der Stadt Göttingen für den Rat der Stadt Göttingen am 14. Juni 2024
Der Rat der Stadt Göttingen fordert den Bundesgesetzgeber dringend auf, sichere rechtliche Rahmenbedingungen für die Beschäftigung freiberuflichen Lehrkräfte (Honorarkräfte) an kommunalen Volkshochschulen und Musikschulen zu schaffen.
Zugleich wird auch das Land Niedersachsen aufgefordert, dieses Ziel flankierend über eine Bundesratsinitiative voranzutreiben.
Begründung:
Die kommunalen Träger der rund 850 Volkshochschulen mit mehr als 2.700 Außenstellen und der 900 öffentlichen Musikschulen stellen fest, dass deren Situation aufgrund aktueller Rechtsprechung existenziell gefährdet ist. Dies gilt auch für die Volkshochschule Göttingen-Osterode.
Freiberufliche Lehrkräfte, die für die Themenvielfalt und -aktualität der Volkshochschulen und Musikschulen von zentraler Bedeutung sind und zu deren Charakteristikum gehören, können gegenwärtig nicht mehr rechtssicher eine Lehrtätigkeit auf Honorarbasis ausüben.
- Zwei höchstrichterliche Urteile des Bundessozialgerichts (aus den Jahren 2018 und 2022), die sich in Teilen widersprechen, bilden derzeit die Richtschnur für die aktuell verstärkt vorangetriebenen Statusfeststellungen der Deutschen Rentenversicherung (DRV).
- Die DRV stellt bei Lehrkräften im Gesamtprogramm Sprache, in vom Bund geförderten Erstorientierungskursen, bei Auftragsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, bei Schulabschlusskursen sowie in der Ganztagsbetreuung immer öfter eine abhängige Beschäftigung fest.
- In zunehmendem Maße wird diese Bewertung nun auch auf Lehrkräfte des gesamten, allgemeinbildenden VHS-Kursprogramms ausgedehnt, selbst wenn der jeweils geleistete Stundenumfang einer Lehrkraft gering ist und keine Bindung an ein vorgegebenes Rahmencurriculum vorliegt.
Aktuell werden über 45 % der Integrationskurse und ein hoher Anteil der Berufssprachkurse an Volkshochschulen durchgeführt.
Die Nachforderungen der DRV führen nicht nur zu erheblichen finanziellen Verwerfungen bei den Volkshochschulen, sie schüren auch massive Unsicherheiten im Hinblick auf den weiteren Einsatz freiberuflicher Lehrkräfte. Verschärft wird die Situation durch das aktuell geltende Finanzierungssystem, das eine stunden- und teilnehmendenbezogene Vergütung vorsieht. Daher sind die Volkshochschulen nicht in der Lage, Integrationslehrkräften mit Blick auf die kommunalen Haushaltsvorgaben ein tarifgebundenes Festanstellungsverhältnis anzubieten.
Dies führt zur Erosion eines über Jahrzehnte im Vertrauen auf Rechtssicherheit etablierten Funktionssystems der Erwachsenen- und Weiterbildung in Deutschland. Wird die derzeitige forcierte Praxis der Statusfeststellungen fortgesetzt, kommen auf die Volkshochschulen und ihre kommunalen Träger zusätzliche finanzielle Belastungen sowie Nachforderungen in erheblichem Umfang zu, die entweder von den kommunalen Trägern übernommen werden müssen oder die in ihrer Höhe existenzbedrohend für die Volkshochschulen sind und zu einer Welle von Insolvenzen und Schließungen von Einrichtungen führen können.
Es droht der Wegfall des gesamten Angebots sowie der VHS selbst und somit eines wesentlichen Partners nicht nur bei der Umsetzung der Integrationsarbeit in Deutschland, sondern auch in der Gestaltung zentraler gesellschaftlicher Transformationsprozesse. Damit kann die VHS ihrem Auftrag als kommunale Bildungs- und Integrationseinrichtung nicht mehr nachkommen. Paradoxerweise würde so zwar Geld in die Kasse der DRV gespült, die VHS als Träger einer auch vom Bund gewollten Bildungsarbeit würden jedoch erodieren. Um das Kernangebot der Volkshochschule zu bewahren, muss der Bund dringend handeln.
Auch bei die VHS Göttingen-Osterode entstehen durch die aktuelle Rechtslage erhebliche jährliche Mehrbelastungen, die vom Landkreis und der Stadt Göttingen als kommunale Träger übernommen werden müssten. Bei der schwierigen Haushaltslage von Landkreis und Stadt Göttingen könnten diese nicht mehr getragen werden, die VHS Göttingen-Osterode wäre dazu gezwungen, ihre Integrationsarbeit und ihr Angebot des Zweiten Bildungsweges einzustellen.
Der Rat der Stadt Göttingen fordert daher vom Bundesgesetzgeber:
- Die freiberufliche Lehrtätigkeit an der Volkshochschule muss dem öffentlichen Auftrag der Erwachsenenbildung entsprechend auch künftig gesetzeskonform und praxistauglich umsetzbar sein,
- Es müssen sichere rechtlicher Rahmenbedingungen für freiberufliche Lehrtätigkeit als Grundprinzip der institutionellen erwachsenenpädagogischen Arbeit geschaffen werden.
Das zuständige Bundesministerium muss gemeinsam mit dem BAMF die Bedingungen im Gesamtprogramm Sprache so gestaltet, dass eine rechtssichere Durchführung mit Honorarlehrkräften auch zukünftig möglich ist.